REICHENBACH —Während auf vielen analogen Plakatwänden auch in Reichenbach eher die Großen mit ihren kaum überprüfbaren Slogans werben, ist das etwa am Netto-Parkplatz an der Zwickauer Straße anders.
Dort zeigt die fast komplette Lehrlingsabteilung von Seidel Heizung und Bad jetzt auf einem großen Plakat unter der Überschrift „Lust auf Handwerk“ Gesicht.
Nur ein paar Meter weiter am Firmensitz ließe sich nachprüfen, ob das wirklich so ist.
„Ist so, die Ausbildung macht Spaß. Das Betriebsklima passt, bereits wir Lehrlinge sind mit dem Firmenchef per Du“, erzählt Kenny Wolf aus dem ersten Lehrjahr. Und Marcel Seidel hört’s gern.
Schließlich ist Mundpropaganda die beste Werbung. Und sie kostet kein Geld. Genauso wie die neue Plakatwerbung seiner Firma. Seidel hat die Gratis-Werbung für Firma und Branche bei einer Mitmach-Aktion der Kreishandwerkerschaft Vogtland via Losentscheid gewonnen.
Unter den Überschriften „Wirtschaftsmacht von nebenan“ oder „Nebenan ist hier“ will die Interessenvertretung den in ihr organisierten Betrieben mit einer Kampagne helfen, in Coronazeiten verlorengegangene Kundennähe zurückzuerobern. Die Plakataktion gehört dazu.
Seidel-Lehrlinge vor dem Seidel-Plakat am Netto. Links Lehrausbilder Ronny Kultscher, rechts Firmenchef Marcel Seidel mit Social Media-Koordinatorin Mandy Helmrich. Die Lehrlinge von links: Tom Gardeja, Kenny Wolf, Tommy Gardeja, Finn Zinner, Lukas Richter und Max Langhammer.
Allerdings, das zeigt die Resonanz auf die Aktion, rennen die Leute den Firmen gerade auch ohne Werbung die Bude ein. „Viele Firmen haben viel zu tun. Einige so viel, dass sie dafür einfach keine Zeit haben“, räumt Geschäftsführerin Manuela Mehringer- Pöhlmann ein. So hatten nur zehn der etwa 550 vogtländischen Innungsbetriebe ihren Hut bei der Verlosung des Gratis-Plakatplatzes in den Ring geworfen. Immerhin noch etwa 40 Firmen machten vom ebenfalls angebotenen Gratis-Herstellen individuell zugeschnittener Werbemittel im Kampagen-Design Gebrauch. Manche Firmen, sagt die Geschäftsführerin, hätten „teilweise die Notwendigkeit nicht erkannt“, in eine über den Tag hinausgehende Präsentation zu investieren.
Die Firma Seidel indes überlässt mit Ausnahme des Plakat-Losentscheids nichts dem Zufall. Auch über das Instrument einer in sozialen Netzwerken ausgespielten Imagekampagne ist die Firma in wenigen Jahren auf 70 Mitarbeiter gewachsen. Dazu gehören zwölf Lehrlinge, ein BA-Student und ein kaufmännischer Azubi. „Die Plakat-Aktion erhöht unsere Sichtbarkeit und hilft bei der Mitarbeitergewinnung.
Wir zeigen uns seit drei Jahren bei jeder Ausbildungsmesse. Wir geben jungen Leuten eine berufliche Zukunft, und die jungen Leute sind unser Zukunft“, sagt Marcel Seidel.
Die Gewinnung des seit diesem Jahr in einer firmeneigenen Lehrwerkstatt geschulten Nachwuchses ist indes auch ein Mittel gegen einen von Seidel prognostizierten Knick auf dem Arbeitsmarkt: „Die Generation, die nach der Wende vom VEB in die Firmen gegangen ist, geht in Rente. Da ist es schon ein Fortschritt, die Mitarbeiterzahl zu halten.“ Seidel indes will weiter wachsen. Um am großen Rad zu drehen – dieses Bild bemühte vor zwei Jahren die Fachzeitschrift der Branche im Hinblick auf die von Seidel im Bundesmaßstab beachtlich vorangetriebene Digitalisierung betrieblicher Abläufe.
Nun hat die in der Region gefragte und im süddeutschen Raum mit der Ausstattung von Fertigteilhäusern erfolgreiche Firma sogar eine eigene Fotovoltaik-Sparte gegründet. „Gibt die Politik grünes Licht, dass Vermieter Mietern ihren Strom verkaufen dürfen, ist das der Start für große Investitionen – wir sind vorbereitet“, sagt Marcel Seidel, dessen Firma dank Investitionen in eigene Fotovoltaik fast energieautark arbeitet und damit Preissteigerungen „enorm wegpuffern kann“.
VON GERD MÖCKEL